Spanien huldigt José Rizal

Am 6. Februar 2023 öffnete der Direktor des in Madrid ansässigen Instituto Cervantes, Luis García Moreno, das gepanzerte Tor zum Tresorraum der „Caja de las letras“ (Literaturbank), um José Rizals literarische Hinterlassenschaften als Legado in memoriam im Schließfach Nr. 1690 zu hinterlegen. Zu den wenigen während dieses Staatsakts anwesenden Gästen und Rednern gehörten der philippinische Botschafter und der Botschafter Spaniens in den Philippinen.

Nach wohlgesetzten Worten des Lobes und des Gedenkens wurden verschiedene Ausgaben der im Aviso als „grande novelas“ bezeichneten Romane Noli me tángere (Berlin 1887) und El Filibusterismo (Gent 1891) sowie andere Schriften des philippinischen Autors in die Metallbox der Literaturbank gepackt und diese sorgfältig verschlossen.

Gegründet wurde die „Caja de las letras“ nach dem Einzug des Instituto Cervantes in das ehemalige Gebäude der nationalen Zentralbank im Jahre 2007. Die umfunktionierten Bankschließfächer des im Souterrain gelegenen Tresorraums sollen wie ein greif- und begehbares Gedächtnismagazin die Werke derer bewahren, die zum kulturellen Erbe Spaniens beigetragen haben und beitragen werden; in der offiziellen Sprache des Instituts: „literarische, künstlerische und wissenschaftliche Hinterlassenschaften (legados) der spanischsprachigen Kultur“. Es ist zu hoffen, dass die Schließfächer nicht als Kolumbarien missverstanden werden, sondern dass jedes Einlieferungsritual wie eine Aufforderung wirkt, dem solchermaßen kanonisierten Werk die lebendigste Aufmerksamkeit bei Laien und Experten zu verschaffen.  

Rizals literarisches Werk dem spanischen Literaturerbe einzugemeinden, ist ein seit langem überfälliger Schritt. 127 Jahre nach der rechtlosen Exekution des philippinischen Intellektuellen durch die spanische Krone wirkt dieser Akt aus dem Jahr 2023 wie eine nachträglich vollzogene Wiedergutmachung. Dafür spricht auch die Entscheidung der Institutsleitung, für Rizals Nachlass ein Schließfach auszuwählen, das unmittelbar an das des baskischen Philosophen Miguel de Unamuno angrenzt. Unamuno war drei Jahre jünger als der philippinische ‚Nachbar‘, hat aber 40 Jahre länger als dieser gelebt. Der Filipino und der Baske haben beide zur gleichen Zeit, manchmal evtl. dieselben Vorlesungen besuchend, an der Zentraluniversität Madrid studiert.

Unamuno kannte Rizals Schriften. Er steuerte als Nachschrift zu der 1907 veröffentlichten Rizal-Biografie des spanischen Philippinisten Wenceslao Retana eine besonders einfühlsame Charakteristik des  Filipinos bei. Über die Romane schrieb er im Epilog: „Wie Plato hat er seine Ideen in Dialoge gegossen. Seine Romane sind nichts anderes als soziologische, manchmal auch philosophische Dialoge. Er benötigte mehr als eine Figur, um seine geistige Vielseitigkeit zu zeigen.“ Ein Urteil, das viel zu denken gibt.

Dietrich Harth, 24. 1. 2024